CHRISTOPH IACONO
REZENZIONEN

Berg- und Talfahrt

a night in Sana'a 

live at "Das Deutsche Haus" (Sana'a/Yemen)

Peter Brötzmann, reeds

Michael Zerang, drums

Abdul-Aziz Mokrid, violin
Khalid Barkosch, cello
Achmed Al-Khalidy, kanun

Ali Saleh, ney
Yasir Al-Absi, darbuka



Was ist Weltmusik - diese Frage stellt Brötzmann unweigerlich mit seiner neuen CD "a night in Sana'a", aufgenommen 2004 in der Hauptstadt des Yemen. Dazu gibt es viele Theorien und vor allem Geschmacksrichtungen, allzuoft wird Weltmusik auch einfach nur mit traditioneller, ethnischer, zumeist außereuropäischer Musik gleichgesetzt. Brötzmann gibt auf diese Frage mit seiner neuen CD zugleich aber auch die Antwort: "Berg- und Talfahrt - a night in Sana'a" ist Weltmusik, und das in einer ganz präzisen Bedeutung.

Dass gerade der Purist und Pionier des europäischen free jazz Peter Brötzmann eine derartige CD herausbringt, mag dabei viele seiner Fans verwundern, überraschen, vielleicht auch befremden - oder sogar verärgern. Auch, wenn es besonders im Jazz eine lange Tradition der Verbindung verschiedener ethnischer Musikstile und -formen gibt, werden gerade die Gralshüter und Verfechter echter, reiner, freier Musik hier bitter werden und Verrat vermuten, Verrat an der echten, wahren und freien Kunst. Doch andereseits ist gerade das Erklärung, warum ausgerechnet Brötzmann hinter dieser Musik steht. Freier und zugleich lebendiger kann Musik nämlich kaum sein.

Das Zusammentreffen zweier westlicher Musiker mit einem yemenitischen Quintett traditioneller Instrumentalisten ist ein Aufeinandertreffen zweier Kulturen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können, zweier Welten, die jede ihren eigenen Anspruch behauptet. Und doch entsteht hier viel mehr als nur ein Dialog der Kulturen. Kein simples nebeneinander, kein kulturmix, keine Ethno-Würze als Beigabe. Viel mehr, als nur eine Überlagerung zweier Farbspektren. Die Musik erhält eine völlig eigene Identität, geradezu kreatürlich scheint hier ein Raum zu enstehen, der mehr ist als die Summe seiner Wände. Ein Lebensraum mit einem eigenen Atem. Es ist erstaunlich, wie Brötzmann eine Einheit mit dem traditionellen Klang von Abdul-Aziz Mokrid, Khalid Barkosch, Achmed Al-Khalidy, Ali Saleh und Yasir Al-Absi bildet, um dann aus dem tonalen Zentrum heraus - geradezu wie selbstverständlich - zu seinen freien Improvisationen zu gelangen, die getragen und geführt werden von einem pulsierenden Geflecht archaischer Klanglichkeit. Überhaupt diese neue Spielweise, mit der hier ein völlig anderer Brötzmann zu hören ist, nicht weniger unverkennbar, und doch eben: anders. Nicht weniger Energie als früher, aber doch weniger Schroffheit, fast möchte man schon von Milde sprechen - vielleicht kommt hier die Weisheit eines Spätwerks zum Vorschein. Eine Aufnahme, die man mit anderen Ohren hören kann als den anderen Brötzmann.

Dass die Produktion als Mitschnitt eines Konzerts entstanden ist und eine entsprechende Lebendigkeit ausstrahlt, macht dabei den Wunsch nach einem sauberen, perfekten Studioklang vergessen - vielmehr ist zu hoffen, dass man bald die Gelegenheit bekommt, diese Formation auch live erleben zu können. Dass man sich dabei ebenso auf die yemenitischen Kollegen wie den Trommler Michael Zerang freuen wird, versteht sich fast von selbst. Vieleicht sind seine Trommeln die sprachliche Brücke der beiden Kulturen, über die sie zueinander finden, ist der Rhythmus die gemeinsame Kraft, aus der dieses Leben strömt.

Schön übrigens auch die Verpackung, in der die CD steckt - eine schlichte, elegante Hülle (Digifile) mit arabisch-deutschem Schriftzug, mit Fotos einer Kultur der Wüste - und natürlich mit der Stempelschrift Brötzmanns.

Und dass man zu dessen Musik einmal fast schon wird meditieren können, das hätte man wahrscheinlich nicht gedacht...

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